Keine Angst vor der Elektromobilität: Feuerwehrleute aus dem Landkreis erweitern ihr Fachwissen in der technischen Unfallhilfe

Die richtigen Handgriffe, moderne Ausstattung und jede Menge Ideen sind bei der Unfallrettung lebenswichtig

318 Unfälle weniger als im Vorjahr ereigneten sich im Jahr 2024 im Dienstgebiet der Polizeidirektion Bad Kreuznach. Leider wurden trotzdem 89 Menschen bei den Unfällen schwer verletzt, sieben Personen verloren ihr Leben. Die Unfallstatistik der Polizeidirektion Bad Kreuznach mit den Polizeiinspektionen Bad Kreuznach, Bingen und Kirn, die Mitte März veröffentlicht wurde, weist insgesamt 5775 Unfälle auf den Straßen aus.

Viele dieser Unfälle gingen dank moderner Fahrzeugtechnik mit aktiven Sicherheitssystemen wie dem Spurhalte- oder Notbremsassistenten und ESP sowie den passiven Sicherheitssystemen wie der Sicherheitsfahrgastzelle, einer stabilen Karosserie, Kopfstützen, Seitenaufprallschutz, Gurtstraffern bis hin zu einer Vielzahl an Airbags meist glimpflich für die Beteiligten aus. Moderne Fahrzeuge haben die Überlebenschancen der Insassen wesentlich erhöht.

Doch auch im Jahr 2024 mussten Rettungsdienste und Feuerwehren im Landkreis zu schweren Unfällen ausrücken und dabei auch eingeklemmte Fahrzeuginsassen aus ihren oft massiv zerstörten Fahrzeugen befreien.  Dabei greifen die Einsatzkräfte auf moderne hydraulische Rettungsgeräte zurück. Den richtigen Umgang mit Rettungsschere, Spreizer und Rettungszylinder sowie vielen anderen Hilfsmitteln für die Unfallrettung schulte das Kreisausbildungsteam „Technische Hilfeleistung“ des Landkreises Bad Kreuznach an zwei Samstagen im Feuerwehrhaus Bad Sobernheim.

Die 24 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem gesamten Kreisgebiet erwartete ein interessantes und umfassendes Schulungsprogramm zum Themenschwerpunkt „Technische Hilfeleistung bei Verkehrsunfällen“, welches Seminarleiter Alexander Roßkopf (Landkreis Bad Kreuznach) mit den Kreisausbildern Rouven Ginz (Feuerwehr Rüdesheim), Christoph Kaluza (Feuerwehr Waldböckelheim) und Fabian Trarbach (Feuerwehr Stadt Bad Kreuznach) vorbereitet hatte.

Das praxisorientierte Seminar hatte zum Ziel, den Teilnehmern wichtige Handgriffe und Tricks für die Befreiung von im Fahrzeug eingeschlossenen oder eingeklemmten Unfallbeteiligten sowie den damit verbundenen sicheren Umgang mit den Rettungsgeräten anzueignen. Hierfür hatte der Abschleppdienst Kappler aus Bad Sobernheim vier Übungsfahrzeuge zur Verfügung gestellt, an denen sich die Teilnehmerin und die Teilnehmer im Umgang mit Schere, Spreizer, Rettungszylinder, Säbelsäge und Halligan-Tool austoben konnten und Sicherheit in der Bedienung der Geräte bekamen.

Bevor die Fahrzeuge fachgerecht zerlegt wurden, stellte Alexander Roßkopf am ersten Seminartag im theoretischen Teil die Aufgaben der Feuerwehr bei der technischen Unfallrettung vor. So lernten die Retter, dass selbst ein neues Fahrzeug der Kompaktklasse mittlerweile über eine umfangreiche Airbagausstattung und mehrere Batterien verfügt. Sollten sich die Airbags bei einem Aufprall nicht öffnen, stellen diese eine nicht unerhebliche Gefahr für die Einsatzkräfte dar. Hier hilft die 90-60-30-Regel. Gemeint sind die Sicherheitsabstände, die alle Rettungskräfte von nicht ausgelösten Airbags einzuhalten haben: 90 Zentimeter von nicht ausgelösten Beifahrer-Airbags, 60 Zentimeter vom Fahrer- und 30 Zentimeter von Kopf-, Seiten, Knie- und Hüftairbags. Um die meist in mehrfacher Anzahl in Fahrzeugen verbauten Batterien kümmert sich die Feuerwehr heute nicht mehr. Sie stellt den Brandschutz sicher, um hier eine Brandgefahr für alle Beteiligten auszuschließen. Zudem schickt die Feuerwehr einen „Inneren Retter“ ins Unfallauto, der das Fahrzeuginnere genau erkundet.

Die Teilnehmer wissen jetzt, dass die Rettungsmaßnahmen zur endgültigen Befreiung der eingeklemmten Person eine regelmäßige Absprache mit dem Notarzt und dem Rettungsdienst erfordern. Weitere Ausbildungsinhalte waren Schneid- und Spreiztechniken sowie die sichere Abstützung verunfallter Fahrzeuge.

Christoph Kaluza widmete sich im theoretischen Ausbildungspart am zweiten Seminartag ausführlich den alternativen Fahrzeugantrieben. Reine Elektroautos und Hybridfahrzeuge, die sowohl über einen Antrieb über den bewährten Verbrennungsmotor als auch über einen Elektromotor verfügen, sind im Landkreis Bad Kreuznach mittlerweile regelmäßig anzutreffen. Ist die Karosserie bei diesem Wagen kaum von den konventionell angetriebenen Fahrzeugen zu unterscheiden, so ergeben sich für die Feuerwehren bei einem Unfall oder einem Fahrzeugbrand teilweise Unterschiede zum „normalen“ Pkw. Christoph Kaluza und Fabian Trarbach stellten anschließend ein E-Fahrzeug mit seinen für die Feuerwehr wichtigen Bauteilen vor und sensibilisierten die Aktiven für technische Hilfeleistungs- und Brandeinsätze bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben.

Schlimme Eindrücke richtig verarbeiten

Je nach Schwere des Unfalls werden die Einsatzkräfte mit schlimmen Bildern konfrontiert. Rouven Ginz war es ein wichtiges Anliegen, dass die Feuerwehrangehörigen nach dem Einsatz über das Erlebte sprechen und die Eindrücke verarbeiten können. Hier bieten beispielsweise die gemeinsame Einsatznachbesprechung der beteiligten Kräfte oder professionelle Gesprächsangebote mit dem Kriseninterventionsteam gute Möglichkeiten zur Verarbeitung des Erlebten.

Im praktischen Teil des Seminars setzten die Aktiven an den beiden Samstagen das in der Theorie Erlernte selbst um. Zu Beginn zeigte Rouven Ginz, wie eine Geräteablage mit allen notwendigen Einsatzmitteln für Verkehrsunfälle aufgebaut werden kann. Die richtige Handhabung und die Bedienung der Rettungsgeräte erläuterte Christoph Kaluza, um die Geräte im Einsatz sicher bedienen zu können. Auch die Erkundung eines verunfallten Fahrzeugs kam nicht zu kurz.

Die Teilnehmerin und Teilnehmer durften sich anfangs mit den Gerätschaften bei der Rettung von Dummys mittels großer Seitenöffnung austoben. Dabei zeigte sich, dass modernes hydraulisches Rettungsgerät unbedingt notwendig ist, um die unterschiedlichen Materialien an Autos zu spreizen, zu schneiden und zu drücken. Oft war Ideenreichtum der Ausbilder und Probanden gefragt, um die eingeklemmten Insassen befreien zu können. So kam unter anderem die Säbelsäge zur Öffnung des Blechs zum Einsatz.

Weitere Stationen waren die Rettung aus einem Fahrzeug nach einem schweren Seitenaufprall, aus einem Fahrzeug in Seitenlage und in Dachlage. Die grundsätzlichen Arbeitsschritte sind in der Regel immer gleich: Fahrzeug stabilisieren, Schaffung einer Zugangsöffnung für den inneren Retter und einer Versorgungsöffnung für den Notarzt und den Rettungsdienst. Anschließend folgt die Befreiungsöffnung. Das Öffnen des Daches wie eine Fischdose, die Schaffung eines Fußraumfensters zur Erkundung der Einklemmung und das Hochdrücken des Armaturenbrettes mit dem Rettungszylinder wurden als weitere Möglichkeiten geübt. Zum Abschluss wurde Kettenrettung vorgeführt, mit der massiv zusammengedrückte Autos schnell wieder in ihre ursprüngliche Form gezogen werden können.

Die Feuerwehrleute kamen bei den Rettungsarbeiten ordentlich ins Schwitzen und lernten auch, dass Feuerwehr landläufig zwar mit Heldentum verglichen wird, das aber bei der technischen Unfallhilfe nicht angebracht ist, da hier körperlich schwere Arbeit geleistet werden muss und ein regelmäßiger Kräfteaustausch sinnvoll ist. Besonders wichtig ist zudem, dass die Einsatzkräfte der Feuerwehr immer mehrere Ideen in ihren „geistigen Schubladen“ parat haben, falls eine Maßnahme mal nicht funktionieren sollte. Diese Schubladen wurden beim Seminar mehr als gut gefüllt.

Seminarleiter Alexander Roßkopf und seine Ausbilder waren wie die Teilnehmer mit den Seminarinhalten und dem Ablauf sehr zufrieden. Alexander Roßkopf dankte der Firma Kappler für die zur Verfügung gestellten Fahrzeuge, der Feuerwehr Bad Sobernheim für die hervorragende Verpflegung sowie den Feuerwehren Bad Kreuznach und Waldböckelheim für die Bereitstellung der Rüstfahrzeuge.

Text: Rouven Ginz, Fachbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Freiw. Feuerwehr VG Rüdesheim

Bilder: Rouven Ginz, Christoph Kaluza, Fabian Trarbach

Fachbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit