Fachwissen, moderne Ausstattung und jede Menge Ideen sind bei der Unfallrettung lebenswichtig

Die zufriedenen Teilnehmenden und Ausbilder nach den beiden lehrreichen Seminartagen

Feuerwehrleute aus dem Landkreis lernen wichtige Handgriffe und Tricks für die technische Unfallrettung

Der Unfallatlas der statistischen Ämter des Bundes und der Länder zeigt: Verkehrsunfälle mit Pkw und Lkw gehören auch auf den Straßen im Landkreis Bad Kreuznach zur Tagesordnung. Für das Jahr 2021 weist die Unfallstatistik beispielsweise für den Bereich der VG Rüdesheim rund 80 Verkehrsunfälle mit Personenschäden aus.

Glücklicherweise gingen viele dieser Unfälle dank modernen Fahrzeugtechniken mit aktiven Sicherheitssystemen wie dem Spurhalte- oder Notbremsassistenten und ESP sowie den passiven Sicherheitssystemen wie der Sicherheitsfahrgastzelle, einer stabilen Karosserie, Kopfstützen, Seitenaufprallschutz, Gurtstraffern bis hin zu einer Vielzahl an Airbags meist glimpflich für die Beteiligten aus. Früher sah das ganz anders aus, denn noch zu Beginn der 1990er Jahre gehörten schwere Unfälle mit eingeklemmten Personen zum Tagesgeschäft der Stützpunktfeuerwehren im Landkreis. Moderne Fahrzeuge haben die Überlebenschancen der Insassen wesentlich erhöht.

Doch auch im Jahr 2021 mussten Rettungsdienste und Feuerwehren zu einigen schweren Unfällen ausrücken und dabei auch eingeklemmte Fahrzeuginsassen aus ihren teilweise massiv zerstörten Fahrzeugen befreien. Denn sollte es heute bei Unfällen zu einer heftigen Kollision kommen und die Insassen werden dann trotz aller Sicherheitssysteme in ihren Fahrzeugen eingeklemmt, so ist die Schwere der Einklemmung meist heftiger als noch vor 20 Jahren. Und dann sind heute wie früher die freiwilligen Feuerwehren mit schwerem Rettungsgerät gefragt. Und der Begriff „schweres Rettungsgerät“ hat seine Berechtigung. Feuerwehren, die heute mit 20 Jahre alten und gar noch älteren hydraulischen Rettungsgeräten auf dem Einsatzfahrzeug anrücken, können bei Unfallwagen mit Baujahren der vergangenen zehn Jahre gewissermaßen gleich mit der Nagelschere arbeiten – die Wirkung könnte dieselbe sein. Denn gehärteter Stahl an den Sicherheitsfahrgastzellen erfordert modernste Rettungstechnik.

Das Kreisausbildungsteam „Technische Hilfeleistung“ des Landkreises Bad Kreuznach führte an den vergangenen beiden Samstagen ein weiteres Seminar mit dem Themenschwerpunkt „Technische Hilfeleistung bei Verkehrsunfällen“ durch. Die 22 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus dem gesamten Kreisgebiet erwartete ein interessantes und umfassendes Schulungsprogramm, welches Seminarleiter Alexander Roßkopf (Feuerwehr Hüffelsheim und Berufsfeuerwehr Mainz) mit Kreisausbilder Fabian Trarbach (Feuerwehr Stadt Bad Kreuznach – Löschbezirk Süd und Berufsfeuerwehr Wiesbaden) vorbereitet hatte.

Das praxisorientierte Seminar hatte zum Ziel, den Teilnehmern wichtige Handgriffe und Tricks für die Befreiung von im Fahrzeug eingeschlossenen oder gar eingeklemmten Unfallbeteiligten sowie den damit verbundenen sicheren Umgang mit den Rettungsgeräten anzueignen. Hierfür standen mehrere Fahrzeuge zur Verfügung gestellt, an denen sich die Teilnehmerin und die Teilnehmer im Umgang mit Schere, Spreizer, Rettungszylinder, Säbelsäge und Halligan-Tool austoben konnten und Sicherheit in der Bedienung der Geräte bekamen.

Bevor die Fahrzeuge fachgerecht zerlegt wurden, stellte Alexander Roßkopf am ersten Seminartag im theoretischen Teil die Aufgaben der Feuerwehr bei der technischen Unfallrettung vor. So lernten die Retter, dass selbst ein neues Fahrzeug der Kompaktklasse mittlerweile über eine umfangreiche Airbagausstattung und mehrere Batterien verfügt. Sollten sich die Airbags bei einem Aufprall nicht öffnen, stellen diese eine nicht unerhebliche Gefahr für die Einsatzkräfte dar. Hier hilft die 90-60-30-Regel. Gemeint sind die Sicherheitsabstände, die alle Rettungskräfte von nicht ausgelösten Airbags einzuhalten haben: 90 Zentimeter von nicht ausgelösten Beifahrer-Airbags, 60 Zentimeter vom Fahrer- und 30 Zentimeter von Kopf-, Seiten, Knie- und Hüftairbags. Um die meist in mehrfacher Anzahl in Fahrzeugen verbauten Batterien kümmert sich die Feuerwehr heute nicht mehr. Sie stellt den Brandschutz sicher, um hier eine Brandgefahr für alle Beteiligten auszuschließen. Zudem schickt die Feuerwehr einen „Inneren Retter“ ins Unfallauto, der das Fahrzeuginnere genau erkundet.

Die Teilnehmer wissen jetzt, dass die Rettungsmaßnahmen zur endgültigen Befreiung der eingeklemmten Person eine regelmäßige Absprache mit dem Notarzt und dem Rettungsdienst erfordern. Weitere Ausbildungsinhalte waren Schneid- und Spreiztechniken sowie die sichere Abstützung verunfallter Fahrzeuge.

Der theoretische Ausbildungspart am zweiten Seminartag widmete sich den alternativen Fahrzeugantrieben. Reine Elektroautos und Hybridfahrzeuge, die sowohl über einen Antrieb über den bewährten Verbrennungsmotor als auch über einen Elektromotor verfügen, sind im Landkreis Bad Kreuznach mittlerweile ebenso regelmäßig anzutreffen wie Fahrzeuge mit Erdgas- oder Flüssiggasantrieb. Ist die Karosserie bei diesem Wagen kaum von den konventionell angetriebenen Fahrzeugen zu unterscheiden, so ergeben sich für die Feuerwehren bei einem Unfall oder einem Fahrzeugbrand teilweise Unterschiede zum „normalen“ Pkw. So verfügen Elektro- und Hybridfahrzeuge über Hochvolt-Batterien und Stromleitungen, von denen für die Einsatzkräfte eine Gefahr ausgehen könnte.  Das Ausbilderteam sensibilisierte die Aktiven für technische Hilfeleistungs- und Brandeinsätze bei Fahrzeugen mit alternativen Antrieben.

Schlimme Eindrücke richtig verarbeiten

Je nach Schwere des Unfalls werden die Einsatzkräfte mit schlimmen Bildern konfrontiert. Den Ausbildern war es ein wichtiges Anliegen, dass die Feuerwehrangehörigen nach dem Einsatz über das Erlebte sprechen und die Eindrücke verarbeiten können. Hierfür stehen verschiedene Möglichkeiten zur Verfügung, beispielsweise die gemeinsame Einsatznachbesprechung der beteiligten Kräfte oder professionelle Gesprächsangebote mit dem Kriseninterventionsteam.

Im praktischen Teil des Seminars setzten die Teilnehmer an den beiden Samstagen das in der Theorie Erlernte selbst um. Die Ausbilder hatten auf dem Gelände des Feuerwehrgerätehauses in Hüffelsheim typische Unfallszenarien vorbereitet. Hierfür stellten Felix Sedlmeier und Dominik Börner aus der VG Langenlonsheim-Stromberg ausgediente Fahrzeuge zur Verfügung.

Zu Beginn zeigte Fabian Trarbach, wie eine Geräteablage mit allen notwendigen Einsatzmitteln für Verkehrsunfälle aufgebaut werden kann. Die richtige Handhabung und die Bedienung der Rettungsgeräte war ein wichtiger Seminarinhalt, um die Geräte im Einsatz sicher bedienen zu können. Auch die Erkundung eines verunfallten Fahrzeugs kam nicht zu kurz.

Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer durften sich anfangs mit den Gerätschaften bei der Rettung von Dummys mittels großer Seitenöffnung austoben. Dabei erwies sich die zehn Jahre alte Mercedes S-Klasse als wahres Fort Knox, das selbst modernes hydraulisches Rettungsgerät an die Grenzen brachte. Hier war nun Ideenreichtum der Ausbilder und Probanden gefragt, um die eingeklemmten Insassen doch noch befreien zu können. So kam unter anderem die Säbelsäge zur Öffnung des Blechs zum Einsatz.

Weitere Stationen waren die Rettung aus einem Fahrzeug nach einem schweren Seitenaufprall, aus einem Fahrzeug in Seitenlage und in Dachlage. Die grundsätzlichen Arbeitsschritte sind in der Regel immer gleich: Fahrzeug stabilisieren, Schaffung einer Zugangsöffnung für den inneren Retter und einer Versorgungsöffnung für den Notarzt und den Rettungsdienst. Anschließend folgt die Befreiungsöffnung. Das Öffnen des Daches wie eine Fischdose, die Schaffung eines Fußraumfensters zur Erkundung der Einklemmung und das Hochdrücken des Armaturenbrettes mit dem Rettungszylinder wurden als weitere Möglichkeiten geübt.

Die Teilnehmer kamen bei den Rettungsarbeiten ordentlich ins Schwitzen und lernten auch, dass Feuerwehr landläufig zwar mit Heldentum verglichen wird, das aber bei der technischen Unfallhilfe nicht angebracht ist, da hier körperlich schwere Arbeit geleistet werden muss und ein regelmäßiger Kräfteaustausch sinnvoll ist. Besonders wichtig ist zudem, dass die Einsatzkräfte der Feuerwehr immer mehrere Ideen in ihren „geistigen Schubladen“ parat haben müssen, falls eine Maßnahme mal nicht funktionieren sollte. Diese Schubladen wurden beim Seminar mehr als gut gefüllt.

Seminarleiter Alexander Roßkopf und Fabian Trarbach waren wie die Teilnehmer mit den Seminarinhalten und dem Ablauf sehr zufrieden. „Das Seminar war top organisiert und hat Spaß gemacht. Es gab für mich einige neue Techniken und Kniffe!“, war eine der Rückmeldungen der Teilnehmer zum Seminar. Alexander Roßkopf dankte Felix Sedlmeier und Dominik Börner für die zur Verfügung gestellten Fahrzeuge und den Feuerwehren der VG Rüdesheim und Stadt Bad Kreuznach für die Bereitstellung der Rüstfahrzeuge und der Feuerwehr Hüffelsheim für die Verpflegung an beiden Seminartagen.

Text: Rouven Ginz, Fachbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit Freiw. Feuerwehr VG Rüdesheim

Bilder: Alexander Roßkopf, Fabian Trarbach

Fachbereich Presse- und Öffentlichkeitsarbeit