Der schwarze Opel Corsa steht mit eingedrücktem Dach und einer völlig demolierten Fahrerseite auf der Fahrbahn, wenige Meter weiter liegt ein grüner VW Polo auf der Fahrerseite. Die Kräfte, die beim Zusammenprall der Fahrzeuge gewirkt haben, müssen gewaltig gewesen sein. Während sich der Fahrer des Polos noch selbst aus dem Wrack befreien und den Notruf absetzen konnte, hängt sein Mitfahrer bewusstlos und schwer verletzt im Gurt des Beifahrersitzes. Auch den Corsa-Fahrer hat es böse erwischt. Seine Beine sind im Fußraum eingeklemmt, die eingedrückte B-Säule drückt stark auf sein gebrochenes Becken.
Dieses Szenario war Ausgangspunkt einer Ausbildungseinheit „Technische Hilfe nach Verkehrsunfall“ der Feuerwehreinheiten aus Hargesheim und Roxheim. Gruppenführer Magnus Markgraf hatte die Übung initiiert, um seinen Kameraden die Möglichkeit zu geben, die notwendigen Kenntnisse und Handgriffe im Bereich der technischen Unfallrettung zu erlernen und in der Praxis anzuwenden. Die Ausbildung wurde von Rouven Ginz, stellvertretender Wehrleiter und Kreisausbilder „Technische Hilfe“ auf dem Gelände der Fa. Eibeck in Hargesheim durchgeführt. Für die Übung hatte Firmenchef Markus Eibeck eigens zwei Schrottfahrzeuge organisiert und so präpariert, dass man auf den ersten Blick von einem tatsächlichen Unfall ausgehen konnte. Zwei Dummys mimten die Unfallopfer, um die vierstündige Schulungseinheit so realitätsnah wie möglich zu gestalten. Rouven Ginz hatte den Rüstwagen der Stützpunktfeuerwehr Rüdesheim mitgebracht, der unter anderem leistungsstarke hydraulische Rettungsgeräte sowie spezielle Stabilisierungssysteme mitführt.
Die Ausbildungsziele hatten Rouven Ginz und Magnus Markgraf, der hauptberuflich als Rettungssanitäter beim DRK arbeitet, wie folgt definiert: Vorstellung der Einsatzmaßnahmen, die von den örtlichen Einheiten aus Hargesheim und Roxheim an Unfallfahrzeugen durchgeführt werden können, bis die zuständige Stützpunktfeuerwehr aus Rüdesheim eintrifft. Hier sind insbesondere die Erkundung sowie die Stabilisierung der Fahrzeuge zu nennen. Denn grade tagsüber, wenn der Großteil der aktiven Wehrleute in der VG Rüdesheim dem Beruf nachgeht, werden die Wehren der drei einwohnerstärksten Gemeinden im Südosten der VG Rüdesheim ab der Alarmstufe 2 gemeinsam alarmiert, um ausreichend Personal im ersten Abmarsch zur Verfügung zu haben. Die Alarmstufe 2 wird bei der technischen Hilfeleistung beispielsweise zur Rettung eingeklemmter Personen nach Verkehrsunfällen ausgelöst. Damit die Zusammenarbeit der Wehren funktioniert, sind regelmäßige Ausbildungen unerlässlich. Die weiteren Lernziele hatten das Airbag-, Glas- und Batteriemanagement sowie die Anwendung der hydraulischen Rettungsgeräte zur schlussendlichen Befreiung des Patienten aus dem Fahrzeug zum Inhalt.
„Die Abstimmung zwischen Rettungsdienst und Feuerwehr ist für den Einsatzerfolg essentiell!“ führte Rouven Ginz vor Beginn des praktischen Teils aus. „Wir schneiden, spreizen oder drücken erst, wenn wir das „OK“ vom Notarzt oder Rettungsdienst haben!“
Nachdem der Ausbilder die 24 Teilnehmer in die Grundlagen der Erkundung und Stabilisierung eingewiesen hatte und eine Geräteablage aufgebaut war, ging es für die Aktiven ans Eingemachte. Zuerst wurde der Polo mit Schlauchbrücken und Schläuchen des TSF-W Roxheim stabilisiert. Nach der Entfernung einer Seitenscheibe kletterte ein innerer Retter auf die Rückbank, um den Patienten zu betreuen. Zur Schaffung einer Versorgungsöffnung stemmten die Feuerwehrleute die Fahrertür mit dem 24 Kilogramm schweren Rettungsspreizer auf. Nun konnte der fiktiv alarmierte Rettungsdienst die Sichtung des Patienten und dessen Versorgung übernehmen. Mit einem Teleskoprettungszylinder drückten die Feuerwehrleute die A-Säule und das eingedrückte Dach wieder dorthin, wo sich Stahl und Blech vor dem heftigen Crash befanden. „Um den Patienten zu entklemmen, ist es unsere grundsätzliche Aufgabe, das eingedrückte Fahrzeug in die Form zurückzudrücken, die es vor dem Unfall hatte!“, so Ginz. Der Druck auf das Becken des Dummys wurde durch waagrechtes Drücken der B-Säule mittels großem Rettungszylinder beseitigt. Zur schonenden Rettung klappten die Kräfte das Fahrzeugdach von hinten nach vorne um. Die eingeklemmten Beine wurden durch horizontales Drücken des Motorvorbaus mit dem Spreizer befreit.
„Wichtig ist, dass ihr immer mehrere Ideen zur Entklemmung parat habt, denn nicht jede Maßnahme führt gleich zum Erfolg.“ gab Rouven Ginz den Teilnehmern mit auf den Weg.
Beim grünen Polo gab es gleich zwei Probleme, mit den sich die Feuerwehr zu beschäftigen hatten. Zum einen lag der Kleinwagen instabil auf der Seite, zum anderen musste der eingeklemmte Patient schnell aus seiner misslichen Lage im Gurt entlastet werden. Zur Stabilisierung wurde das sogenannte StabFast-System eingesetzt. Hier sorgen drei Stempel, die mit Ratschenbändern am Fahrzeug verzurrt werden, für absolute Stabilität des verunfallten Fahrzeugs. Nach Entfernen der Heckscheibe und Wegschneiden der Heckklappe stieg ein Kamerad in das Fahrzeug ein und übernahm die Erstversorgung. Ein Rettungsbrett, das unter den Patienten geschoben wurde, sorgte rasch für die nötige Entlastung des Patienten. Mit einer Glassäge wurde die Frontscheibe entfernt und anschließend das Dach nach Durchtrennung der Säulen auf der Beifahrerseite nach unten weggeklappt. Nun war das Fahrzeug soweit „filetiert“, dass der Dummy problemlos gerettet werden konnte. Abschließend nutzten die Teilnehmer die Gelegenheit, mit der Säbelsäge den Fußraum zu öffnen, um die Lage der eingeklemmten Beine eines Unfallopfers zu erkunden.
Wehrführer Joachim Petry aus Hargesheim bedankte sich im Anschluss an die Übung bei Initiator Magnus Markgraf und Ausbilder Rouven Ginz für die Vorbereitung und Durchführung der interessanten Ausbildungseinheit, die die Kameraden bei sommerlichen Temperaturen ordentlich ins Schwitzen brachte. Ein Dank galt auch Markus Eibeck für die zur Verfügung Stellung der Fahrzeuge.
Text: Rouven Ginz
Bilder: Jasmin Bernhardt & FW Hargesheim